An Herrn Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster Marktplatz 1 70173 Stuttgart
vorab per Fax: 216 77 20 18.3.2007
- offener Brief -
Betreff:
Ilisu Staudammprojekt in der Osttürkei und die
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrter Herr Dr. Schuster, ich wende mich an Sie, wegen des Ilisu-Staudamm-Projekts einerseits und Ihrem Netzwerk „Stuttgarter Partnerschaft Eine Welt“ andererseits.
Mit dem Netzwerk „Partnerschaft Eine Welt“, dessen Schirmherr Sie sind, haben Sie Großes in der Welt vor, wie: „…Brücken nach außen bauen (…) gegen Notstände und für konkrete Verbesserungen arbeiten (…) Verminderung von Krisen und Konflikten (…) einen Beitrag zu einer gerechten Globalisierung leisten (…) kommunale Selbstverwaltung stärken (…) Hilfe zur Selbsthilfe leisten (…) eine lebenswerte Zukunft schaffen, anderen Ländern bei deren Wasserversorgung helfen“ und vieles mehr. Diese Texte lesen sich wie die Laudatio auf einen Friedensnobelpreisträger und lassen an wohlgesetzten Worten kaum Wünsche offen.
Wenn ich allerdings in Betracht ziehe, dass Sie als Oberbürgermeister in Stuttgart die gesamte Wasser-, Gas- und Stromversorgung verkauft haben, und wenn ich mir einige Ihrer Netzwerk-Partner ansehe, wie Alcatel SEL AG, Ernst & Young AG, Flughafen Stuttgart GmbH, Landesbank und Wirtschaftsministerium Baden- Württemberg, Daimler Chrysler, EU-Kommission, die GTZ, sowie der Baukonzern ED.Züblin AG, wenn ich dies dazustelle, befürchte ich, dass es eher darum geht, Wirtschaftsinteressen durchzusetzen, eingebettet in humanitäre Absichtserklärungen.
Ganz
ähnlich, wie bei den Milleniumszielen, zu deren Umsetzung auch
Konzerne durch die Privatisierung von lebensnotwendigen Ressourcen
beitragen sollen. Der Diskurs der vergangenen Jahre hat aber gezeigt, dass mit solchen Doppelstrategien die Bürger in die Irre geführt werden, weil ein Konzern verständlicherweise seinen Aktionären gegenüber zu Profit verpflichtet ist und nicht plötzlich seine Milliarden-Gewinne für Armutsüberwindung ausgeben kann. Richtiger ist vielmehr, dass diese Gewinne überhaupt erst durch Monopole und die Ausbeutung der Bevölkerung entstehen konnten.
Ganz konkret geht es mir in diesem Brief um das Ilisu-Projekt. Dieser geplante Großstaudamm in der Osttürkei an der Grenze zu Syrien und zum Irak ist höchst umstritten,
Bezüglich des Völkerrechts werden die „Helsinki Rules“ der International Law Association (ILA) betreffend internationaler Wasserläufe v. 1966 verletzt, die die billige und angemessene Nutzung aller Anrainerstaaten eines Flusses als zentrale Bestimmung festlegen ( the „equitable and reasonable utilization“ ).
Ebenso
wird die Konvention der Vereinten Nationen über die
nicht-schiffbare Nutzung internationaler Wasserläufe von 1997
verletzt, weil diese u.a. in den Artikeln 5-8 eine
Konsultationspflicht und die Kooperation der Anrainerstaaten
festlegt. Der irakische Wasserminister Latif Rashid hatte Ende 2006
seine extreme Besorgnis zum Ausdruck gebracht, weil der Irak bei dem
Ilisu-Projekt nicht konsultiert, bzw. schlicht übergangen wurde.
Was die Menschenrechte anbelangt, verstößt das Ilisu-Projekt gegen zahlreiche Artikel aus Verträgen, die im internationalen Recht verankert sind, weil elementare Standards bei der derzeitigen Planung missachtet werden. So z.B. in:
Aus den genannten Gründen wird ersichtlich, dass die Realisierung des Ilisu-Projekts für die Menschen in der betroffenen Region und die Menschen in den Unterlieger- staaten Syrien und Irak sozial, politisch, kulturell und ökologisch desaströs wäre.
Eine Schlüsselrolle für die Realisierung fällt der Deutschen Bundesregierung zu, die eine 100-Millionen-Hermes Bürgschaft zugunsten der ED Züblin AG und zu Lasten des Steuerzahlers geben will. Damit hat der Stuttgarter Baukonzern ED Züblin AG, der ja ein Schwergewicht in Ihrem „Eine Welt Netzwerk“ ist, eine ebenso zentrale Stellung. Weil Sie versichert haben, dass Sie mit Ihrem Netzwerk Krisen und Konflikte vermindern - und für Gerechtigkeit und eine lebenswerte Zukunft eintreten wollen, möchte ich Sie hiermit ersuchen und auffordern, Ihren Netzwerkpartner Züblin AG zur Aufgabe dieses Staudamm-Projektes zu bewegen. Das wäre eine echte Hilfe im Sinne der betroffenen Bürger in der Osttürkei.
Um es nochmal deutlicher auszudrücken: wenn Menschen gegen ihren Willen gewaltsam vertrieben werden, wenn die dortige Kultur zerstört wird und wenn dem Irak „das Wasser abgegraben wird“, ist das keine Hilfe und schon gar keine Hilfe zur Selbsthilfe. Im Kern geht es wohl darum, dass wir als reiche Länder mehr Respekt vor der Selbstbestimmung der Menschen in einer fremden Region haben sollten und nicht in neo-kolonialem Stil die Interessen deutscher Konzerne als Hilfe deklarieren.
Ich bitte Sie darum, mit Ihrem Netzwerkpartner in Verbindung zu treten und das Projekt zum Wohle der dort lebenden Menschen zu stoppen. Angesichts der Brisanz des Ilisu-Projektes habe ich diesen Brief an Sie als offenen Brief geschrieben. Dennoch würde ich mich über eine Antwort freuen.
Mit besorgten und kritischen Grüssen,
Jens Loewe (Mitglied im Stuttgarter Wasserforum)
Anlage: Artikel über das Ilisu-Projekt aus der Zeitung Zeitfragen v. 21. 8. 2006 |